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Herzlich Willkommen auf meiner Webseite

Claudia Mühlhans lebt als freischaffende Malerin und Schriftstellerin in Gießen.

Literarische Veröffentlichungen:

Ein Roman “Und Abel erschlug Kain” im Verlag Neues Leben, Berlin

„Stellenweise Bodenfrost“, 34 Short Stories, Epubli-Verlag, Berlin (auch als Ebook)

„Der gemeine Zauber“, Gedichte, Epubli-Verlag, Berlin

„Mona Mondmädchen“, illustriertes Kinderbuch, Epubli-Verlag, Berlin (Ebook)

Gedichte und Kurzgeschichten in Anthologien.

Aktuelles

“In der Endrunde der 9. Biennale Hamburg in Schloss Bergedorf”


Nächste Ausstellung von Claudia Mühlhans:

Ausstellung Claudia Mühlhans
Sparkasse Gießen – Hautpstelle,
Johannesstraße 3, 35390 Gießen
Vernissage Mittwoch, 4. September 2024 um 17:00 Uhr

Vernissage
freundeskreis ART ROOM
Am Poth 4 | 40625 Düsseldorf
Samstag, 7. Oktober 2023
Die Galerie ist von 15 bis 18 Uhr geöffnet.

Ausstellungsdauer 07.10 – 03.11.23

>>Einladung zur Ausstellung


Galerie ART ROOM
Am Poth 4
40625 Düsseldorf-Gerresheim

Vernissage am 07.10.2023
Dauer: bis 03.11.2023

"Sunlight and other circumstances"

Kurzgeschichte

Das genagelte Ohr

Wir waren hier, um die letzten Tage des Sommers am See zu genießen.
Claire hatte die ehemalige Internats-Clique zusammengetrommelt.
Sie war wie immer dünn, fast mager, braun und ruhelos.
Außerdem frisch gepierct.
Sie wollte mir ihr neues Piercing allerdings nicht zeigen.
„Nicht jetzt“, trieb sie mich vor sich her, „du musst mir beim Styling helfen. Nicht, weil dein Geschmack plötzlich erlesener geworden wäre“, sie musterte mich von hinten, ich spürte ihren gnadenlosen Blick, „sondern“, etwas wie Jubel brach in ihrer Stimme durch, „ich habe die neue Frühjahrskollektion von A.F.!“
„Air Force, vermutlich“, witzelte ich.
Darin verstand sie keinen Spaß, „Adrian Flor“, sagte sie knapp, „weißt du eigentlich, wie angesagt der im Moment ist?“
Ja doch, ganz verblödet war ich noch nicht.
Ich guckte beleidigt auf den Kleiderständer, der mitten in Claires Zimmer stand.
Sie strich zärtlich über die Kleiderhüllen, dann über meinen Arm.
„Komm Fin“, sagte sie versöhnlich, „ich meinte ja nur, dass dir dein Medizinstudium keine Zeit für solchen Kram lässt. Obwohl so ein Arztkittel ja auch sexy sein kann.“
„Na ja“, ich sah die pflegeleichten Mischgewebeteile vor mir, „nur in alten deutschen Ärzteserien.“
Wir probierten und kicherten uns durch die Kollektionsteile, durchweg Größe 32/34, aber manche Stretchteile passten auch mir.
„Öffne doch mal den Champagner“, wies Claire mich an, „zum Vorglühen! Ich habe jedem eine Flasche auf das Zimmer stellen lassen. Diese Tage sollen uns an alte Zeiten erinnern.“
Sie umarmte mich, Federn umwehten ihr Dekolleté.
Ich nieste.
„Diese guten alten Zeiten liegen gerade einmal zweieinhalb Jahre zurück“, konstatierte ich nüchtern.
„Eben, eine Ewigkeit“, sie verzog ihr Gesicht, so dass ihre Haut sich straffte.
„Ich finde, dass deine Nase doch sehr schmal geworden ist“, sagte ich boshaft, „da hat der Gute etwas zu viel weggemeißelt.“
„Besser als der höckerige Zinken, den ich vorher hatte“, gab sie munter zurück.
Sie liebte ihre neue Nase.
„Wenn du erst mal plastische Chirurgin bist, lasse ich mich von dir neu operieren.“
„Wo etwas weg ist, ist es weg.“
Das solltest du mal deinem Arsch sagen!“
Wir brachen in Gelächter aus. Der Champagner ließ uns albern werden.
Wirklich, es war fast wie früher, wenn unsere Clique sich die in eins von unseren Zimmern geschmuggelte Flasche Champagner teilte.
Claire überließ mir großzügig zwei Tanktops, eines schlicht schwarz, das andere mit Pailletten bestickt, die ich übereinander kombinieren würde.
Sie selber beschloss, ein Dirndl aus Seidenchiffon zu tragen.
„Wir werden später auf eins der Oktoberfeste gehen: die gibt es hier überall rund um den See. Und jetzt raus, meine Stylistin muss mir die Haare machen und zwar so!“
Sie zeigte mir eine komplizierte Flechtfrisur.
Ich bezweifelte, dass dies mit ihren spärlichen Haaren zustande kommen würde, hielt aber den Mund und zog mit meiner Beute ab.
„Wir treffen uns in einer Stunde unten auf dem kleinen Parkplatz“, rief sie hinter mir her.

Da stand ich nun und schabte mich mit meinen Schuhspitzen durch den Kies.
Ich glühte rosig im Champagnerhoch, der Himmel knallte sein Herbstblau über die rotleuchtenden Bäume.
Kies knirschte, als Rocco und Eliane losfuhren.
Jetzt standen nur noch zwei Autos auf dem Hof, Claires roter Lamborghini und ein grünes Jaguarcabrio.
Den Mann, der drinnen saß und eine Zigarette rauchte, kannte ich nicht.
Sah irgendwie italienisch aus, mit längeren, schwarzen, lockigen Haaren.
Gar nicht übel.
Ich stöckelte durch den Kies zu ihm hin, kramte aus meiner Tasche Zigaretten heraus.
„Kann ich bitte Feuer haben?“
An seinem Handgelenk saß eine Rolex mit schwarzer Lünette.
Sportlich, aber nicht breit.
„Warten Sie auch auf jemand?“ fragte ich, dabei kreuzte ich lässig die Beine in den knallengen Lederhosen.
„Ja, auf meine Tante Marie!“
Nanu, wer konnte das denn sein, klang irgendwie altbacken.
„Tante Marie?“ wiederholte ich fragend, schnippte Zigarettenasche von mir weg.
„Tante Marie ist die jüngste Tochter des jüngsten Bruders meines Großvaters“, erklärte der schöne Italiener.
Das klang ja wie im Märchen, dort ist es immer die jüngste Tochter, die den Prinzen abkriegt.
„Wohnt sie eventuell in einem Schloss?“ witzelte ich.
„Ja, im Württembergischen. Ich war als Kind dort oft zu Besuch. Unvergessliche Zeiten.“
Mir fiel auf, dass er die Haare wahrscheinlich so lang trug, weil er ausgeprägte Segelohren hatte. Besonders das rechte Ohr lugte vorwitzig hervor.
Ansonsten gepflegte Haut, schöne Augen, er blieb interessant.
„Ich habe als Kind auch gern Verwandte besucht“, tönte ich langweiligen Kram zusammen, um das Gespräch am Laufen zu halten.
„Bestimmt nicht so leidenschaftlich gerne wie ich.“
„Ach ja, erzählen Sie mal.“
Ich beugte mich vor, mein Interesse war nicht einmal geheuchelt.
„Ich hing schon immer an Marie, sie stand mir näher als meine Schwestern und ich freute mich wahnsinnig auf die Ferien, um sie zu besuchen.
Wir ritten zusammen aus oder gingen schwimmen.
In dem Sommer, als ich elf Jahre alt geworden war, änderte sich aber ihr Verhalten mir gegenüber. Sie hatte für mich keine Zeit und beschäftigte sich ausschließlich mit ihrem anderen Hausgast, einem gewissen Robby.
Rob, der Snob, nannte ich ihn.
Er war ungefähr so alt wie Marie, sie ist zehn Jahre älter als ich“, erläuterte er mir.
Dabei schenkte er mir ein so bezaubernd offenes Lächeln, dass ich noch näher an ihn heranrückte.
„Was wurde aus ihm, hat Ihre Tante ihn geheiratet? Ist er ihr Onkel Robby geworden?“ rätselte ich.
Er schnippte seine ausgerauchte Zigarette in den Kies, räkelte sich in dem Autositz zurück, dabei schaute er versonnen vor sich hin.
Seine rechte Ohrmuschel blinkte rot, seine Wimpern schwangen schwarz und lang, weiße Zähne komplettierten das männliche Schneewittchen.
Ich kam von dem Märchenthema gar nicht mehr los, war er etwa mein Traumprinz?
„Ich konnte es damals nicht benennen“, fuhr er fort sich in seine Erinnerung zu vertiefen, „aber ich war entsetzlich eifersüchtig.
Ich folgte den Beiden auf Schritt und Tritt und gönnte ihnen keine gemeinsame Minute. Wenn sie sich zusammen in einem Zimmer befanden, gewöhnte ich mir an, mein Ohr an die Zimmertür zu pressen und zu erlauschen, was drinnen vor sich ging.
Einmal erwischte mich Marie spionierend an ihrer Zimmertür, als ich sie und Robby darin vermutete.
Bevor ich reagieren konnte, stürmte sie den Flur entlang, ergriff mich am Arm und zerrte mich in ihr Zimmer.
Sie war außer sich vor Wut, ihre Privatsphäre durch mich so verletzt zu sehen.
Vom Pressen an die Tür war mein rechtes Ohr ganz breit und rot geworden, somit doppelt auffälliger, als meine großen Ohrmuscheln ohnehin waren.“
Ein erinnerungszärtliches Lächeln wehte um seine Lippen.
„Immer noch wütend packte mich Marie, stieß mich an die Wand neben ihren Schreibtisch und erklärte mir, sie würde mich daran hindern, ihr ständig nachzuspionieren, indem sie mein verräterisches Lauscheohr an die Wand nageln würde.
Bevor ich zum Reagieren und sie zum Nachdenken kam, ergriff sie vom Schreibtisch ihren Brieföffner und trieb ihn mit einem festen Schlag des Briefbeschwerers durch meine Ohrmuschel.
Erst tat es gar nicht weh, dann sackte ich mit einem Schrei in ihren Armen zusammen.“
Mir war der Mund vor Entsetzen offen stehen geblieben.
„Und Robby?“ räusperte ich mich heiser.
„Der reiste am nächsten Tag ab und die Ohrmuschel wurde genäht. Da kommt übrigens Marie.“
Ja, da kam Tante Marie.
Wie sah sie aus?
Noch nie hatte ich einem Menschen mit so unverhohlener Neugier entgegen gestarrt.
Sie trug ein wadenlanges, enges Kleid im Stil der vierziger Jahre, in der Taille straff zusammen gegürtelt, die Knöpfe zum schönen Dekolleté geöffnet. Die blonden, halblangen Haare waren straff nach hinten gebürstet. Sie sah aus wie Grace Kelly.
Und bevor sie zu meinem italienischen Prinzen in den Jaguar stieg, schlang sie sich wahrhaftig ein cremefarbenes Seidentuch zum Grace-Kelly-Knoten um Kopf und Hals.
Alle drei, Prinz, Jaguar und Grace Kelly fuhren knirschen über den Kies davon.
Er sah nicht zurück, nur sein rotes Ohr leuchtete wohlwollend zum stummen „Arrivederci“.
Gegen Tante Marie hatte ich keine Chance.

Aus Claudia Mühlhans: Stellenweise Bodenfrost